"Jeder Beschäftigte hat das Recht auf einen angst- und gewaltfreien Arbeitsplatz."
Frau Dr. Brandkamp, als zertifizierte Bedrohungsmanagerin haben sie bei der Telekom die fachliche Leitung eines Teams das präventiv gegen Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz vorgeht und in akuten Fällen hilft. Warum braucht es so etwas wie ein Bedrohungsmanagement überhaupt?
Die Welt ist bunt und vielfältig, genauso wie wir bei der Telekom. Unsere Belegschaft setzt sich aus mehr als 50 Nationen zusammen, wobei unterschiedliche Hautfarben, Religionen und Herkunftsländer unter den Kolleginnen und Kollegen selbstverständlich sind. Auch in unserer Magenta-Welt gibt es gelegentlich Konflikte und Herausforderungen. Als Bedrohungsmanagement unterstützen wir nicht nur bei internen Konflikten, sondern auch bei Konflikten an der Kundenschnittstelle und Bedrohungen aus dem privaten Bereich, wie häuslicher Gewalt oder Stalking durch einen Ex-Partner. Mit rund 80.000 Beschäftigten in Deutschland wäre es naiv zu glauben, dass es keine Auseinandersetzungen geben könnte. Daher setzen wir uns als Bedrohungsmanager frühzeitig ein, noch bevor ein strafrechtlicher Anfangsverdacht entsteht, um Straftaten zu verhindern. Unsere Mission lautet: Jeder hat das Recht auf einen angst- und gewaltfreien Arbeitsplatz. Unsere Beschäftigten sollen sich sicher fühlen, denn nur dann kommen sie gerne zur Arbeit, können ihr gesamtes Potenzial ausschöpfen und sich gegenseitig bestärken und unterstützen. Wir sind stolz darauf, diese Notwendigkeit schon lange erkannt zu haben.
Seit wann gibt es diesen Bereich, wie viele Personen arbeiten dort und was sind die Aufgaben?
Mittlerweile sind wir ein engagiertes Team von zehn Personen. Neben dem klassischen Bedrohungsmanagement widmen wir uns zwei weiteren essenziellen Bereichen: Sicherheit "Entdecken" und Sicherheit "Erlernen".
Was meinen wir damit? Sicherheit ist für uns in manchen Lebenslagen selbstverständlich und präsent, in anderen hingegen kaum wahrnehmbar. Wenn Sie beispielsweise mit dem Flugzeug in den Urlaub fliegen, erhalten Sie vor dem Abheben eine Sicherheitsunterweisung. Steigen Sie jedoch in einen Bus oder eine Bahn, bleibt diese oft aus. Wir möchten, dass unsere Beschäftigten wissen, wie wichtig uns ihre Sicherheit ist. Deshalb bieten wir zahlreiche Vorträge auf Betriebsversammlungen, Kampagnen und Artikel in unserem Intranet an.
Der Bereich Sicherheit "Erlernen" konzentriert sich auf Beschäftigtengruppen mit ähnlichen Herausforderungen. Es geht darum, präventiv zu wissen, wie man sich in bestimmten Situationen verhalten kann – ähnlich wie bei der Verkehrserziehung. Denken Sie an das Bild des Zebrastreifens: Ein Blick nach rechts und nach links vor dem Überqueren ist hilfreich und notwendig, denn nicht immer halten alle Autos an. Für Fußgänger ist es in der Regel nicht belastend, wenn ein Autofahrer nicht hält. Wenn wir erkennen, dass bestimmte Mitarbeitende aufgrund ihrer Aufgaben, organisatorischen Veränderungen oder persönlichen Lebenslagen ähnliche Herausforderungen haben, konzipieren wir gezielte Maßnahmen, um sie darauf vorzubereiten. So bieten wir beispielsweise Selbstbehauptungstrainings an, begleiten Führungskräfte in Veränderungsprozessen oder führen Konfliktmanagement-Workshops durch.
Von Mobbing über Radikalisierung, sexualisierte Gewalt und Kundendrohungen bis hin zu schwerer Gewalt und Amok. Was sind die hauptsächlichen Themenfelder und Probleme? Was beschäftigt Sie mehr: die Präventionsarbeit oder die Aufarbeitung und Nachsorge von Gewalterlebnissen?
Glücklicherweise handeln wir immer proaktiv, vor dem strafrechtlichen Anfangsverdacht, vor der Straftat. Dennoch sind Drohungen oder Belästigungen belastende Erlebnisse, die einer Aufarbeitung und Nachsorge bedürfen.
Wenn ich an meinen persönlichen Arbeitsalltag denke, dann würde ich sagen es hält sich die Waage, Blicke ich auf die Verteilung der Aufgaben im Team, dann liegt der Schwerpunkt auf der Präventionsarbeit.
Verbale Gewalt oder Bedrohung: Gibt es da nicht häufig das Problem der unterschiedlichen Sichtweisen und Einschätzungen von Tätern und Betroffenen? Wie lösen sie vermeintliche "Bagatell-Fälle", wenn jemand meint, er habe nur einen Spaß gemacht und der betroffene Mensch unter Angst leidet?
Vielen Dank für diese großartige Frage. Um sie anschaulich zu beantworten, möchte ich ein konkretes Szenario skizzieren. Stellen Sie sich vor, ein männlicher Kollege hat eine Vorliebe für anzügliche Blondinenwitze, die er gerne in der Mittagspause erzählt. Obwohl er diese Witze lustig findet und niemanden verärgern möchte, fühlt sich eine junge Auszubildende in der Runde sichtlich unwohl, traut sich aber nicht, dies zu äußern.
In unserem Code of Conduct sind die Aspekte Respekt und Wertschätzung fest verankert. Beides bedeutet auch, die Perspektive anderer einzunehmen. Gerade bei den von Ihnen als „Bagatell-Fälle“ bezeichneten Situationen geht es um einen respektvollen Umgang miteinander. Zu verstehen, dass ein Witz für einige nicht lustig ist, sondern im Gegenteil sehr belastend oder beängstigend sein kann, ist entscheidend für eine nachhaltige Lösung.
Um diese Botschaft auf eine spielerische Weise zu vermitteln, ohne belehrend zu wirken, haben wir das Spiel "Mensch belästige mich nicht" entwickelt. So fördern wir das Verständnis und die Sensibilität für respektvolles Verhalten im Alltag.
Was sind die wichtigsten learnings bzw. was würden Sie Arbeitgebenden und Führungskräften, die Gewaltprävention in ihren Unternehmen etablieren möchten, unbedingt raten?
Gewaltprävention basiert für mich auf zwei wesentlichen Säulen: 1. Einer Kultur des Miteinanders, geprägt von Achtsamkeit und Wertschätzung, und 2. Kompetenten Anlaufstellen wie dem Bedrohungsmanagement.
Achtsamkeit und Wertschätzung mögen wie Schlagworte klingen, sind aber von grundlegender Bedeutung. Nur wenn Beschäftigte wissen, dass ihre Ängste ernst genommen werden, werden sie sich auch melden. Eine Führungskraft, die alle Teammitglieder aufmerksam wahrnimmt und vertrauensvoll sowie wertschätzend auf bedenkliche Veränderungen eingeht, leistet einen wichtigen Beitrag zur Prävention. Ebenso wichtig ist es, dass die Führungskräfte wissen, dass das Top-Management genau diese Kultur fördert.
Die zweite Säule besteht darin, zu wissen, wo man kompetente Hilfe wie ein Bedrohungsmanagement findet. Das Vertrauen in eine solche Anlaufstelle muss jedoch erst erarbeitet werden. Es ist wichtig, die Versprechen, die kommuniziert werden, wie z.B. Erreichbarkeiten, verlässlich einzuhalten. Wenn Beschäftigte erleben, dass sie die Unterstützung, die sie brauchen auch dort erhalten, schafft das Vertrauen und so meine Erfahrung, der Flurfunk funktioniert, Weiterempfehlungen sind die wertvollste Kommunikation.
Als wir vor über zehn Jahren mit diesem Thema begannen, war mir nicht bewusst, wie entscheidend eine positive Unternehmenskultur für ein erfolgreiches Bedrohungsmanagement ist.
Was denken Sie, kann und sollte jeder Mensch tun, um eine gewaltfreie Gesellschaft und Arbeitswelt zu fördern?
Ich reise gerne in andere Kulturen, um zu erleben, wie Menschen dort miteinander umgehen. Dabei bin ich immer wieder positiv überrascht von der Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, die mir entgegengebracht wird. Wenn man in Deutschland nach dem Weg fragt, findet man sicherlich schnell jemanden, der eine Antwort gibt: zweimal rechts, einmal links, drei Ampeln weiter. Doch sich die Mühe zu machen, jemanden persönlich zu begleiten, bis er den Weg sicher gefunden hat, passt leider oft nicht in unsere durchgetaktete Welt.
Wenn wir in unserem Alltag unsere Mitmenschen wahrnehmen, respektvoll behandeln und uns gegenseitig unterstützen, haben wir bereits einen großen Schritt in Richtung einer gewaltfreien Gesellschaft getan.
Mal ganz persönlich: Wie gehen Sie damit um, wenn Menschen diskriminierende Bemerkungen machen oder Witze?
Leider bin ich nicht immer so schlagfertig, wie ich es dann gerne wäre. Manchmal sage ich etwas wie: "Hast du den Witz aus dem letzten Jahrhundert ausgegraben? Wir haben mittlerweile das Jahr 2024!“ "Diskriminierung? Anschluss verpasst? In meiner Welt gilt ein respektvoller Umgang, kann jeder lernen, auch du.“