Im Interview mit Karl-Sebastian Schulte, Geschäftsführer des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks
So vielfältig wie das Handwerk, sind die Auswirkungen der Pandemie auf die Gewerke: Einige haben stabile Auftragslagen, andere bangen um ihre Existenz. Für alle gelten veränderte Arbeitsschutzvorschriften, Hygienekonzepte und die Testangebotspflicht. Was hat den Betrieben geholfen alle Vorgaben umzusetzen? Wo gab es Probleme? Darüber sprach DGUV Kompakt mit Karl-Sebastian Schulte, Geschäftsführer des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH).
Herr Schulte, der Zentralverband des Deutschen Handwerks vertritt rund eine Million Handwerksbetriebe. Wie steht es um das Handwerk nach über einem Jahr Pandemie?
Die wirtschaftliche Lage im Handwerk insgesamt stellt sich trotz der anhaltenden Pandemie weitgehend stabil dar. Es gibt aber sehr deutliche Unterschiede in den verschiedenen Handwerksbereichen. In den Bau- und Ausbauhandwerken laufen die Geschäfte weiter gut. Diese Betriebe haben die Corona-Pandemie bislang mit Abstand am besten verkraftet, wobei aktuell Rohstoffknappheiten und eine Materialpreisexplosion das Bild trüben. Die industrienahen Handwerke profitieren als Zulieferer allmählich von der Erholung der Produktions- und Exportzahlen. Die Kfz-Gewerke leiden unter der Schließung der Verkaufsräume. Vor allem die persönlichen Dienstleistungs- und Lebensmittelgewerke arbeiten wegen der Kontaktbeschränkungen und teils Schließungen seit Monaten unter erheblich erschwerten Bedingungen. In einigen Gewerken, wie etwa dem Messebau oder bei den Textilreinigern, kämpfen etliche Betriebe um ihre Existenz. Viele Betriebsinhaberinnen und Betriebsinhaber sind sogar an ihre privaten finanziellen Rücklagen gegangen, um ihren Betrieb durch diese schwierige Zeit zu bringen. Bei einigen dürften die letzten Reserven demnächst aufgebraucht sein – und ich spreche hier ausdrücklich auch vom Privatvermögen, das oft genutzt wird, um den Betrieb irgendwie am Laufen zu halten.
Für den Schutz der Beschäftigten am Arbeitsplatz wurde im April 2020 ein Arbeitsschutzstandard verabschiedet. Die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen haben diesen mit branchen-und zielgruppenspezifischen Handlungshilfen konkretisiert. Konnten Ihre Betriebe diese nutzen und waren sie hilfreich?
Ja, die branchen- und zielgruppenspezifischen Handlungshilfen sind für unsere Betriebe in der Regel sehr hilfreich. Das ist sicherlich auch deshalb so, weil sich die jeweiligen Berufsgenossenschaften mit unseren Fachverbänden eng abgestimmt haben und so die spezifischen Praxiserfordernisse berücksichtigt werden konnten. Der pandemiebedingte Arbeitsschutz bei den Betrieben hat sich zwischenzeitlich gut eingespielt.
Was war schwierig?
Für Rechtsunsicherheit bei den Betrieben haben insbesondere die unterschiedlichen Vorgaben in den Corona-Verordnungen der Länder und des Bundes gesorgt. Darüber hinaus ist Ende Januar 2021 die neue SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung in Kraft getreten. Diese enthält ergänzende und rechtlich verbindlich verschärfte Arbeitsschutzmaßnahmen. Auch wenn diese grundsätzlich zwar nachzuvollziehen sind, halten wir sie dennoch für überflüssig, weil die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregelungen vom August 2020 in Verbindung mit den Handlungshilfen der Berufsgenossenschaften bereits ein effektives und hinreichend hohes Schutzniveau für die Beschäftigten gewährleisten.
Wie schätzen Sie insgesamt die Rolle der gesetzlichen Unfallversicherung während der Pandemie ein?
Die in der Regel gute und praxisorientierte Zusammenarbeit der Berufsgenossenschaften mit unseren Fachverbänden – gerade zu Beginn der Pandemie – hat es vielen Betrieben erleichtert, die Arbeitsschutzvorgaben umzusetzen. Zudem hat es vielen Betrieben eine spürbare Erleichterung gebracht, dass die meisten Berufsgenossenschaften für Betriebe in Notlage, Stundungen und Ratentilgungen bei der Beitragszahlung ermöglicht haben.
Welche Themen sehen Sie langfristig für die gesetzliche Unfallversicherung in Bezug auf das Handwerk?
Die Anforderungen im Arbeitsschutz und die Detailtiefe der Regelungen nehmen seit vielen Jahren immer stärker zu. Diese Entwicklung müssen wir umkehren – auch, um die Akzeptanz des Arbeitsschutzes und damit der gesetzlichen Unfallversicherung bei den Handwerksbetrieben zu stärken. Die Beitragsentwicklung in der gesetzlichen Unfallversicherung ist ein weiteres wichtiges Thema. Angesichts der seit langem sinkenden Zahl der Arbeitsunfälle erwarten unsere Betriebe nicht nur Beitragsstabilität, sondern Entlastungen. Im Leistungsrecht sollte man sich daher wieder stärker auf den ursprünglichen Sinn und Zweck konzentrieren, nämlich die Haftungsablösung von Arbeitgebern gegenüber ihren Beschäftigten. Beim Berufskrankheitenrecht sind Evidenz und Augenmaß gefordert statt politische Verschiebebahnhöfe zugunsten der Krankenversicherung. Weitere Themen sehe ich beim Umgang mit Soloselbständigen und neuen Erwerbsformen sowie bei der Transformationsbegleitung hin zu einer klimaneutralen Kreislaufwirtschaft.
Wie schauen Sie auf die nächsten Monate?
Der Optimismus im Handwerk im Hinblick auf die weitere wirtschaftliche Entwicklung hat zuletzt wieder zugenommen – die meisten Betriebe rechnen spätestens ab den Sommermonaten mit einer Verbesserung der eigenen Geschäftslage. Wir gehen derzeit davon aus, dass insbesondere die Binnenkonjunktur im 2. Halbjahr 2021 einen kräftigen Schub erhält, wenn mit den Öffnungen der private Konsum wieder anspringt. Klar ist aber auch, dass die besonders hart betroffenen Gewerke ihre Verluste aus dem laufenden Jahr wohl nicht mehr aufholen können. Vor allem die privaten Dienstleister des Handwerks wie Friseure und Kosmetiker, aber auch Fotografen, Maßschneider oder Goldschmiede, kämpfen vielfach um die Existenz. Für das Gesamthandwerk gehen wir für 2021 von einem leichten Umsatzplus von etwa einem Prozent aus. Das setzt allerdings voraus, dass die Öffnungsperspektiven bleiben und durch Impfungen abgesichert werden.