Im Interview mit Prof. Dr. med. Axel Ekkernkamp, Geschäftsführer Medizin der BG Kliniken
Die Pandemie hat den Gesundheitsbereich stark gefordert. Auch die Berufsgenossenschaftlichen Kliniken betreuten Menschen, die an Covid-19 erkrankt waren oder sind. DGUV Kompakt sprach mit Prof. Dr. med. Axel Ekkernkamp, Geschäftsführer Medizin der BG Kliniken sowie Ärztlicher Direktor und Geschäftsführer des Unfallkrankenhauses Berlin, über Post-Covid-Programme und die Chancen, die sich während der Pandemie für die Wissenschaft ergeben haben.
Herr Prof. Ekkernkamp, die BG Kliniken und die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) haben das Post-Covid-Programm entwickelt. Was ist das genau?
Das Post-Covid-Programm reicht von der Beratung und Diagnostik bis hin zu stationärer Rehabilitation und ambulanter Nachbetreuung und wird in allen Akut- und Rehakliniken der Unternehmensgruppe angeboten. Aufgrund der Vielfältigkeit der Folgen von Covid-19-Erkrankungen arbeiten Fachbereiche wie Neurologie, Pneumologie, Kardiologie, Rehabilitationsmedizin und Psychologie eng zusammen. Kurzfristig können auch weitere Disziplinen wie etwa HNO oder Gastroenterologie hinzugezogen werden.
Zu den ambulanten Leistungen des Programms gehört die Post-Covid-Beratung für Rehamanager- und managerinnen und die Beschäftigten in der Sachbearbeitung der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen. Die Post-Covid-Sprechstunde richtet sich an Versicherte, die von den Unfallversicherungsträgern zur weiteren Diagnostik- und Therapieplanung vorgestellt werden. Das stationäre Angebot umfasst den Post-Covid-Check, ein umfangreiches Diagnostikverfahren, von dem ein maßgeschneidertes Therapiekonzept abgeleitet wird. Und natürlich die Rehabilitation – von etablierten Verfahren wie die Berufsgenossenschaftliche Stationäre Weiterbehandlung oder die Komplexe Stationäre Rehabilitation bis hin zur Neurologischen Rehabilitation oder der Post-Covid-Rehabilitation bei Atemwegs- und Herzkreislaufproblemen.
Wie hoch schätzen Sie den Bedarf ein?
Allein in der gesetzlichen Unfallversicherung, insbesondere bei der BGW, der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft und den Unfallkassen, wurden von Pandemiebeginn bis Ende August 2021 über 103.000 Covid-19-Erkrankungen als Berufskrankheit anerkannt. Dem gegenüber steht die Zahl aller bestätigten Berufskrankheiten von rund 35.000 Fällen im Jahr 2019. Die Dimension wird deutlich, denke ich. Außerdem wurden bislang rund 10.000 Fälle als Arbeits- bzw. Schülerunfall anerkannt. Über den Prozentsatz derer, die nicht von der gesetzlichen Unfallversicherung erfasst sind und unter dem Post-Covid-Syndrom leiden, kann man nur spekulieren. Klar ist: Nur gemeinsam mit Kooperationspartnern und anderen Akteuren im Gesundheitswesen können wir diese Aufgaben stemmen.
Seit fast 18 Monaten bestimmt die Pandemie das alltägliche Leben. Wie gut haben die Berufsgenossenschaftlichen Kliniken die Krise bestanden?
Es hat sich bestätigt, dass die BG Kliniken die richtigen Zentren für „Unvorhergesehenes“ sind und ihren Anteil daran haben, dass die Versorgung von Covid-Erkrankten auf hohem medizinischen Niveau erfolgen konnte. Die Vorgaben des Staates mit Leistungsreduzierungen, der hohe finanzielle Aufwand für Schutzausrüstungen, die Belastung des Personals durch Quarantäneregelungen und, schlimmer noch, durch Covid-Erkrankungen, stellten große Herausforderungen dar. Dennoch haben wir enorme Leistungsfähigkeit bewiesen. Wirtschaftlich mussten auch unsere Kliniken Federn lassen. Die Solidarität des Staates, unsere Gesellschafter, die stabile Konzernstruktur und schließlich die Hilfsbereitschaft der BG Kliniken untereinander haben aber sehr geholfen.
In einem Fachartikel haben Sie von Chancen geschrieben, die sich für die Wissenschaft während der Pandemie ergeben haben. Welche sind das?
Noch nie hat sich globale Forschung so bewährt wie in dieser Zeit. Weltweit haben sich Ärzteschaft und Wissenschaft vernetzt, um Medikamente zu finden, mit denen die Symptome der Covid-Infektionen in verschiedenen Stadien der Erkrankung am besten zu behandeln sind. Der Intensivmedizin stehen heute deshalb ganz andere Therapiemöglichkeiten zur Verfügung als noch zu Beginn der Pandemie. Experten und Expertinnen der Virologie, Epidemiologie und Infektiologie erforschen in einem wissenschaftlichen Diskurs Ansteckungs- und Übertragungswege des Virus. Der vermutlich wichtigste Punkt ist, dass Corona einem Verfahren zum Durchbruch verholfen hat, das die Bekämpfung von ansteckenden Krankheiten nachhaltig verbessern wird: mRNA-Impfstoffe. Die Methode macht auch die sogenannte personalisierte Medizin durch individuell hergestellte Medikamente möglich, was gerade in der Krebstherapie große Fortschritte mit sich bringen dürfte.
Vor der Pandemie gab es Forderungen für einen Strukturwandel in der deutschen Krankenhauslandschaft. Haben diese nach der Pandemie noch Bestand?
Es gibt ja seit längerer Zeit zwei Lager: Die eine Gruppe der Fachleute setzt auf eine ortsnahe Versorgung, die andere fordert zur Qualitätssteigerung eine Fokussierung auf Spitzen-Kliniken. Auch wenn bislang 80 Prozent aller stationär aufgenommenen Corona-Erkrankten in Krankenhäusern der Grund- und Regelversorgung behandelt wurden, stimme ich vollkommen mit Prof. Josef Hecken, dem Vorsitzenden des Gemeinsamen Bundesausschusses, überein: 1.200 Krankenhäuser in Deutschland sind ausreichend, anspruchsvolle Eingriffe sollten nur in darauf spezialisierten Zentren durchgeführt werden. Die BG Kliniken sind als Maximalversorger gut aufgestellt; neben der Abdeckung unserer Kernleistungsbereiche – der Akutversorgung und Rehabilitation schwerverletzter und berufserkrankter Menschen – stellen wir über strategische Kooperationspartnerschaften mit anderen Kliniken eine hohe medizinische Qualität der Versorgung sicher.
Die Krankenhauslandschaft in Deutschland steht aber grundsätzlich vor großen Aufgaben. Die Bekämpfung des Fachkräftemangels und eine tiefgreifende Digitalisierung gehören ebenso dazu wie eine deutlich stärkere Vernetzung mit anderen Beteiligten im Gesundheitswesen – vom stationären Spezialversorger bis hin zu den ambulanten Leistungserbringern. Ziel muss sein, ein modernes, patientenorientiertes Gesundheitssystem aufzubauen. Nötig ist dafür eine Zusammenarbeit multiprofessioneller Teams aus unterschiedlichen Gesundheitsberufen.