Verschiedene Studien zur Viertagewoche zeigen positive Effekte bei den Mitarbeitenden. Sie sind zufriedener und gesünder. Für die Unternehmen bedeutet die Einführung zwar die Anpassung von Arbeitsabläufen und -strukturen, aber sie gewinnen motivierte Fachkräfte. Im Interview erklärt Professor Dr. Dirk Windemuth, Leiter des Instituts für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IAG), welche Vor- und Nachteile der Job an vier Tagen der Woche mit sich bringt.
Herr Windemuth, unsere Gesellschaft altert, wir sehen einen steigenden Arbeitskräftemangel. Gleichzeitig zeigen aktuelle Studien, dass die Menschen gerne weniger arbeiten wollen. Erste Unternehmen führen die Viertagewoche ein. Wie geht das zusammen?
Wenn Menschen arbeiten, ist es immer wichtig, dass sie das sicher und gesund tun können. Dazu tragen unter anderem gute Arbeitsbedingungen, eine gute Work-Life-Balance und eine hohe Zufriedenheit der Beschäftigten bei. Nur an vier Tagen der Woche zu arbeiten, zahlt darauf unter Umständen ein. Das zeigen die Ergebnisse verschiedener Studien.
Welche Voraussetzungen sollten gegeben sein?
Bedeutet die Viertagewoche, dass nur noch viermal acht Stunden gearbeitet wird, besteht die Chance auf eine Verbesserung der Work-Life-Balance. Oder anders ausgedrückt: Wenn ein Mensch bei gleichem Gehalt nur noch 32 statt 40 Stunden arbeiten muss und dadurch einen Tag mehr Freizeit hat, geht es ihm höchstwahrscheinlich besser. Zumindest kurzfristig. Das belegen Studien. Um das vorherzusehen, muss man auch kein Experte sein. Ob dieser Effekt auch längerfristig bestehen bleibt, ist zu bezweifeln. Spätestens die Generation, die mit einer Viertagewoche in das Berufsleben startet, würde den Zustand als völlig normal betrachten und keine besondere Zufriedenheit daraus ziehen. Wird die Wochenarbeitszeit dagegen auf vier Zehnstundentage kompensiert, sinkt die Work-Life-Balance drastisch.
Was würden so lange Arbeitstage nach sich ziehen?
Solche Arbeitstage erhöhen den Stress für die Beschäftigten durch die Verdichtung der Arbeit. Zudem würden die Tage insgesamt sehr lang und der gewünschte Effekt, dass die Beschäftigten erholter und gesünder sind, würde sich nicht einstellen. Studien zeigen, dass nach 8 Stunden die Aufmerksamkeit sinkt und die Unfallgefahr steigt. Auch nimmt die Schlafqualität und somit die Erholung durch den Schlaf ab, psychosomatische Krankheiten treten deutlich häufiger auf.
Man muss auch bedenken, dass bei zehn Stunden Tätigkeit längere Pausenzeiten vorgeschrieben sind. Rechnet man die Fahrtzeiten zur Arbeitsstätte hinzu, dann entstehen regelmäßig 12-Stunden-Tage. Das steht im Kontrast zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, weil z. B. die Betreuungseinrichtungen nicht so lange geöffnet sind. Dann grenzt so ein Modell Beschäftigte mit Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen aus. Auch sind laut Arbeitszeitgesetz keine Arbeitstage mit mehr als zehn Stunden möglich. Das heißt, es gibt keinen Gleitzeitausgleich mehr. Der ist aber wichtig für die Vereinbarkeit. Kurz: Die Viertagewoche durch Konzentration der Arbeitszeit von acht auf zehn Stunden an vier Tagen die Woche macht die Menschen krank, führt zu Unfällen und reduziert die Work-Life-Balance. Das gilt zumindest für Eltern und pflegende Angehörige.
Wie kann das Modell gelingen, ohne die entfallenden Stunden an den anderen Arbeitstagen zu kompensieren?
Wichtig ist, sich grundsätzlich die Frage zu stellen, ob Prozesse so optimiert werden können, dass die gleiche Arbeit in weniger Zeit geschafft werden kann, ohne die Tätigkeit zu stark zu verdichten. Das ist bei einigen Tätigkeiten möglich. Ich denke da an den hilfreichen Einsatz von KI und Technik, aber auch an zu viele Meetings, die anders gestaltet und seltener werden könnten. Generell sind Berufe im Büro eher für die Optimierung geeignet. Andere Tätigkeiten kann man kaum optimieren. Vor allem bei sozialen Berufen, bei der Arbeit mit Menschen, auch bei Gesundheits- oder Service-Dienstleistungen, haben wir Schwierigkeiten.
Die Studien zur Viertagewoche sprechen von zufriedenen Beschäftigten, die weniger krank und motivierter sind, spricht dann nicht vieles für die verkürzte Arbeitswoche?
Dass ausgeruhte Beschäftigte mehr leisten, seltener krank sind und Prozesse optimiert werden können, klingt erst einmal logisch. Ich würde von Befragungsergebnissen aber auch nichts anderes erwarten. Wir sollten das aber überprüfen, bevor wir auf der Basis dieser Annahmen die Arbeitswelt verändern. Nehmen wir den Gewinn durch weniger Krankschreibungen: Aktuell sind Beschäftigte in Deutschland durchschnittlich knapp 20 Tage pro Jahr arbeitsunfähig. Eine Vier- statt Fünftage-Woche bedeutet aber bei sechs Wochen Urlaub im Jahr einen Verlust von 46 Tagen pro Jahr. Also: Selbst, wenn es überhaupt keine AU-Tage mehr gäbe, müssten durch die Prozessoptimierung für jeden Beschäftigten 26 weitere Tage eingespart werden. Das ist für viele Tätigkeiten unrealistisch.
Gleichzeitig müssen wir überlegen, ob wir wirklich eine massive Arbeitsverdichtung durch die Prozessoptimierung bei der Viertagewoche wünschen. Ob das nicht ein massiver Zuwachs der psychischen Belastung wäre, sollten wir wissenschaftlich seriös überprüfen.
Sie sprechen sich also gegen die Viertagewoche aus?
Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich bin ein großer Freund der Viertagewoche. Ich bin aber ebenso ein großer Freund davon, große Veränderungen auf einer soliden Basis einzuführen. Diese Veränderung ist zu wichtig, um sie befragungsbasierten Meinungen zu überlassen.
Was muss man demnach vor der Einführung des Modells beachten?
Eine Viertagewoche ist ein überzeugendes Argument bei der Gewinnung und Bindung von Arbeitskräften, das Modell ist deshalb auch für Arbeitgeber interessant. Man sollte jedoch die Beschäftigten in die Entscheidung einbeziehen, nach ihren Bedürfnissen fragen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Irgendwie muss die Leistung der Woche ja erbracht werden. Prozesse zu optimieren geht, wie gesagt, nicht für jede Tätigkeit. Ob die Beschäftigten in Teilzeit arbeiten wollen und auf einen Teil ihres Lohnes verzichten, ist im Einzelfall zu klären – die Tendenz geht in Deutschland dahin.
Zusätzliches Personal wäre eine Lösung, um den fehlenden Tag abzufangen – ist aber mit massiven Mehrkosten für Arbeitgeber verbunden und Arbeitskräfte zu finden, ist jetzt schon schwierig. Und noch ein anderer Gedanke: Mal angenommen, es gäbe genügend Arbeitskräfte, dann müsste sich an manchen Stellen auch strukturell etwas ändern. Nehmen wir als Beispiel die niedergelassenen Ärztinnen oder Psychotherapeuten. Es ist jetzt schon schwierig, einen Termin zu bekommen. Die Behandlungszeit können wir nicht weiter kürzen. Wenn wir mehr Fachkräfte brauchen, weil wir alle nur noch vier Tage arbeiten wollen, dann müssen wir regeln, dass sich mehr Ärzte und Psychotherapeutinnen niederlassen dürften und es diese Fachleute in ausreichender Anzahl auch gibt.
Die Viertagewoche wird wahrscheinlich in einigen Branchen eingeführt werden, die es sich leisten können. Müssen wir dann befürchten, dass die kommende Generation nur noch programmieren oder kreative Berufe ausüben möchte?
Das denke ich nicht. Menschen suchen sich ihren Beruf nicht nur danach aus, dass sie viel Freizeit haben. Für viele Menschen ist z. B. die Arbeit mit oder an Menschen wichtig. Diese Personen werden nicht Informatik studieren, um einen Tag mehr in der Woche frei zu haben. Auch gibt es im Handwerk schon erste Beispiele, wie es mit einer Viertagewoche gut funktionieren kann. Aber ja, der Druck, gute und genug Beschäftigte zu finden, wird steigen. Das bedeutet, Branchen, die eine Viertagewoche nicht umsetzen können, müssen bessere Anreize setzen. Allein tolle Werbe-Slogans werden da nicht reichen. Im Kampf um die besten Fachkräfte werden gute Arbeitsbedingungen immer eine zentrale Rolle spielen. Deswegen müssen sie auf hohem Niveau bleiben oder sich verbessern – egal ob an vier oder fünf Tagen die Woche. Denn: Gut gestaltete Arbeit ist nicht nur gefragt, sie fördert erwiesenermaßen auch die Gesundheit.
Professor Dr. Dirk Windemuth leitet das Institut für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IAG). Er ist Psychologe und widmet sich unter anderem den Themen Arbeitsgestaltung der Zukunft und der arbeitsbedingten psychischen Belastung.
Das Institut für Arbeit und Gesundheit der DGUV (IAG) ist eines von drei wissenschaftlichen Instituten der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e.V. Es fördert die sicherheits- und gesundheitsgerechte Gestaltung der Arbeit und begleitet den Wandel in der Arbeitswelt.