Herr Dr. Portuné, aus welchem Grund machen die Unfallversicherungsträger Betriebsbesichtigungen?
Die Unfallversicherung hat den gesetzlichen Auftrag, Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren mit allen geeigneten Mitteln zu verhindern und für eine wirksame Erste Hilfe zu sorgen. Überwachung und Beratung sind zentrale Elemente, um diesen Auftrag umzusetzen. Sie sind elementar für die Präventionsdienste und sie sind ein "Türöffner" zu den Betrieben.
Wozu braucht es einen "Türöffner"?
Durch die Betriebsbesichtigung werden auch Betriebe und Einrichtungen erreicht, die nicht von sich aus aktiv die Beratung anfordern. Somit zeigen die Unfallversicherungsträger gerade dort Präsenz, wo der Präventionsbedarf besonders hoch ist. Die Überprüfung erfolgt mit dem Ziel, Sicherheit und Gesundheit zu optimieren und die Betriebe dabei zu unterstützen. Überwachung ist also immer eng mit Beratung verbunden. Auch mit weiteren Präventionsleistungen, wie Qualifizierungsmaßnahmen, die den Betrieben dann angeboten werden können.
Im Jahr 2022 wurden 204.566 Unternehmen durch die gesetzliche Unfallversicherung besichtigt. In Deutschland sind circa 3,2 Mio. Unternehmen bei den Unfallversicherungsträgern registriert. Reichen die Besichtigungen aus?
Es ist wichtig, diese Zahlen richtig einzuordnen. Die Personalressourcen der Unfallversicherungsträger sind gar nicht für eine flächendeckende Besichtigung ausgelegt und müssen das auch nicht sein. Je nach Branche und Unternehmen gibt es deutliche Unterschiede hinsichtlich der Unfallgefahren und Gesundheitsrisiken. Die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen machen daher Stichproben und schauen sich gezielt die Betriebe und Bildungseinrichtungen an, bei denen ein erhöhtes Risiko für Sicherheit und Gesundheit besteht.
Kommen die Unfallversicherungsträger mit oder ohne Ankündigung?
Sowohl als auch. Am erfolgreichsten ist eine sinnvolle Kombination aus beidem. Bei angekündigten Besichtigungen kann sichergestellt werden, dass wichtige Ansprechpersonen vor Ort sind, um zu klären, wie die Organisation von Sicherheit und Gesundheit sowie die Beurteilung der Arbeitsbedingungen gewährleistet werden. Viele unangekündigte Besichtigungen sind das Ergebnis von datenbasierten Risikobetrachtungen zu Unternehmen, Wirtschaftszweigen oder spezifischen Arbeitsstätten. Andere dienen der Ermittlung nach Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten oder resultieren aus Beschwerden.
Nach welchen Kriterien wählen sie aus, wen sie besichtigen?
Die Vernetzung verschiedener Bereiche ermöglicht es, statistische Kennzahlen, zum Beispiel zu Entschädigungsleistungen oder über das Unfall- und Berufskrankheiten- geschehen, zusammenzuführen. Besichtigungen in Bereichen mit einem besonders hohen Risiko für die Versicherten am Arbeitsplatz und einem großen Beratungsbedarf können priorisiert werden.
Wie wird das technisch umgesetzt?
Algorithmen übernehmen das Zusammen- führen und Interpretieren der Kennzahlen. So kann zum Beispiel auf der Basis von über 100 Merkmalen die Wahrscheinlichkeit für bevorstehende Arbeitsunfälle in Betrieben einer bestimmten Größe abgeschätzt werden. Dabei werden historische Muster und Zusammenhänge gesucht und erkannt, um die Prognosen abzusichern.
Was können Unfallversicherungsträger tun, wenn Veränderungsbedarf besteht, aber keine Einsicht vorhanden ist?
Sofern es Defizite gibt, kommt es auf die individuelle Motivation an, diese zu beheben. Ziel ist es immer, überzeugend zu erklären, warum etwas verändert werden muss. Gibt es im Einzelfall keine Einsicht in notwendige Nachbesserungen von Arbeitsschutzmaßnahmen, haben die Aufsichtspersonen die Möglichkeit, Maßnahmen durchzusetzen oder Sanktionen zu verhängen – wie zum Beispiel Zwangs- und Bußgelder. Ziel eines ganzheitlichen und nachhaltigen Aufsichtshandelns ist aber immer, die Unternehmenskultur mit Blick auf die Sicherheit und Gesundheit weiterzuentwickeln und damit der Vision Zero näher zu kommen. Dieser Weg führt über echte Beteiligung des Unternehmens durch Einsicht bei den Beteiligten.
Gut zu wissen! Aufsichtspersonen sind bei der Unfallprävention ein Bindeglied zwischen Unfallversicherungsträgern und Unternehmen. Sie beraten und überwachen die Betriebe und Bildungseinrichtungen, um Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren abzuwenden. |