Am 9. Dezember 2023 fand in Bochum das zweite DGUV Fachgespräch Mesotheliomtherapie statt. Anknüpfend an das erste Fachgespräch wurden die aktuellen Fortschritte insbesondere bei der Therapie des Mesothelioms und bei der Einrichtung von zertifizierten Mesotheliomein-heiten dargestellt. Im Fokus standen die verbesserten Möglichkeiten zur Früherkennung nach dem Start der Pilotphase des erweiterten Vorsorgeangebots EVA-Mesothel.
Mesotheliome sind bösartige Tumoren, die bevorzugt im Bereich des Lungen- und Rippenfells (Pleura) und des Bauchfells (Peritoneum) auftreten. Wie kein anderer Tumor gelten Mesotheliome als Signaltumoren für eine meist beruflich bedingte Asbestexposition. Trotz des in Deutschland seit 1993 geltenden Asbestverwendungsverbotes bewegt sich die Zahl der Mesotheliomerkrankungen weiterhin auf einem hohen Niveau. Grund hierfür sind die langen Latenzzeiten und möglicherweise auch Expositionen zum Beispiel im Rahmen von Abrissarbeiten und Renovierungen von Gebäuden, die in der Zeit vor dem Verwendungsverbot von Asbest errichtet wurden. Es besteht daher nach wie vor Handlungsbedarf, die Vorsorge- und Therapieangebote weiter zu verbessern.
Seit dem im ersten Fachgespräch 2019 dargestellten Status quo der Früherkennung und Therapie des malignen Mesothelioms hat es auf verschiedenen Gebieten vielversprechende Fortschritte gegeben. Organisiert wurde das zweite Fachgespräch erneut vom IPA.
Prof. Thomas Brüning, IPA, begrüßte die rund 70 Ärztinnen und Ärzte, Vertreter der Unfallversicherungsträger sowie der Asbestose-Selbsthilfe. Nach einem Rückblick auf das vorherige Fachgespräch stellte Prof. Brüning die MoMar-Studie vor (Hagemeyer et al. 2020, Aigner et al. 2021, Johnen et al. 2022). Im Anschluss wurden die aktuellen Entwicklungen zur Behandlung und Früherkennung des Mesothelioms sowie die Erwartungen aus Sicht der verschiedenen Interessensgruppen präsentiert und diskutiert.
Status Quo aus Sicht der Unfallversicherungsträger
Marita Klinkert von der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW) und Mitglied des Geschäftsführerkonferenz-Ausschusses Berufskrankheiten der DGUV berichtete über aktuelle Zahlen der Verdachtsanzeigen, Anerkennungen und Todesfälle zur BK-Nr. 4105 "Durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells oder des Perikards". Neben der Altersverteilung wurden auch die Rehabilitationsausgaben dargestellt.
Die Zahlen der angezeigten und anerkannten BK-Nr. 4105 liegen trotz eines leichten Rückgangs weiterhin auf einem hohen Niveau. Dabei ist ein Einfluss der Pandemie auf den Rückgang der Meldezahlen infolge der Kontaktbeschränkungen nach Einschätzung von Marita Klinkert nicht auszuschließen. Deutlich verändert hat sich die Altersstruktur der anerkannten BK-Nr. 4105-Fälle zwischen 2013 und 2022. So ist der Anteil der Gruppe der über Achtzigjährigen in knapp zehn Jahren von 20 auf fast 50 Prozent gestiegen. Eine große Herausforderung an die Therapie und vor allem an die Früherkennung lässt sich aus der Falldauer ablesen: Fast ein Drittel der Versicherten mit einer anerkannten Berufskrankheit Nr. 4105 überlebt das erste Jahr nicht. Hieraus ergibt sich für die Unfallversicherungsträger und die DGUV die Herausforderung, den betroffenen Versicherten unter Berücksichtigung der neuesten Entwicklungen die bestmögliche Vorsorge und individuelle Therapie zukommen zu lassen. Hierzu gehören das Angebot zur Früherkennung, wie dies mit EVAMesothel in die Praxis umgesetzt wird, die Organisation von Fachgesprächen und die Förderung von zertifizierten Mesotheliomeinheiten und deren Vernetzung. Das Angebot von Mesotheliomsprechstunden, wie dies derzeit in Zusammenarbeit mit der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) und den Kliniken erfolgt, sollte möglichst unter Einbindung des Reha-Managements realisiert werden.
Erwartungen der versicherten Personen
Heinz-Peter Sattler vom Bundesverband der Asbestose Selbsthilfegruppen begrüßte die Initiativen der DGUV und des IPA, die Zertifizierung von Mesotheliomeinheiten zu fördern, Biomarker zur Früherkennung zu entwickeln und ein neues erweitertes Vorsorgeangebot für Mesotheliome zu schaffen. Im Falle auffälliger Biomarker-Befunde solle – so der dringende Wunsch – eine psychoonkologische Begleitung und die Einbeziehung des jeweiligen Partners erfolgen.
Hinsichtlich der BK-Verfahren wünschen sich die Betroffenen eine schnellere Bearbeitung der Anträge sowie infolge der langen Latenzzeiten mit oft schwieriger Expositionsermittlung eine notwendige Beweiserleichterung im Anerkennungsverfahren. In der Vergangenheit kam es bei einzelnen Fällen zu langen Wartezeiten und aus Sicht der Betroffenen zu einer schwer nachvollziehbaren Kommunikation. So dürfe die infolge der therapeutischen Fortschritte erreichte Verlängerung der Überlebenszeit keinesfalls als Argument im BK-Verfahren gegen das Vorliegen eines Pleuramesothelioms gewertet werden.
Viele Anfragen bei den Selbsthilfegruppen beziehen sich auf mögliche Asbestexpositionen sowohl im aktuellen Umfeld der betroffenen Menschen aber auch hinsichtlich früherer Arbeitsplätze. Hier bestehe der Wunsch und die Notwendigkeit, die Aufklärungsarbeit zu intensivieren. Dazu sei es erforderlich, dass sich die Selbsthilfegruppen ständig weiterbilden und regelmäßig über die aktuellen Entwicklungen informieren. So könnte auf Angebote hingewiesen und die Vor- und Nachteile den Betroffenen sachlich erläutert werden. Entscheiden müsse dann jeder Betroffene für sich selbst. Diese Entscheidungen seien nie richtig oder falsch, sondern immer individuell.
Aktuelle Entwicklungen im Bereich der Chirurgie
Eine Vielzahl von kleineren Studien zeigt teilweise beeindruckende Erfolge bei der chirurgischen beziehungsweise multimodalen Therapie des Mesothelioms. Jedoch fehlt es immer noch an ausreichend großen, randomisierten Studien, um gegebenenfalls die Vorteile auch massiver chirurgischer Eingriffe wie der erweiterten Pleurektomie/Dekortikation (eP/D) zweifelsfrei zu belegen. Prof. Servet Bölükbas, Direktor der Klinik für Thoraxchirurgie und thorakale Endoskopie an der Ruhrlandklinik Essen, diskutierte die auf der Lungentumor-Weltkonferenz präsentierten Ergebnisse der aktuellen MARS2-Studie, die hierzu die lang erwartete Antwort liefern sollte. Er führte aus, durch die Studie könnte der Eindruck entstehen, dass eine chirurgische Resektion von Mesotheliomen eher schadet als nützt. Jedoch konnte Prof. Bölükbas zeigen, dass die Aussagekraft der Studie aufgrund verschiedener Mängel in Frage gestellt werden muss. Somit wird die eP/D voraussichtlich weiter ein wichtiger Bestandteil der Therapie in den internationalen Leitlinien bleiben.
Fortschritte in der Onkologie und Immuntherapie
Eine bedeutende Neuentwicklung seit 2019 stellt die Publikation der CheckMate-743-Studie dar. Hier konnte erstmals ein Überlebensvorteil durch die Immuntherapie auch für Mesotheliome mit iner Phase-III-Studie belegt werden. Priv.-Doz. Dr. Martin Metzenmacher, Klinik für Thorakale Onkologie, Universitätsmedizin Essen, erläuterte die Ergebnisse der inzwischen in Deutschland zugelassenen Doppel-Therapie mit den Immuncheckpoint-Inhibitoren Ipilimumab und Nivolumab. Zum ersten Mal steht damit ein therapeutischer Ansatz zur Verfügung, der den etroffenen eine verbesserte Lebensqualität ermöglicht. Er scheint für Mesotheliome mit sarkomatoider und biphasischer Histologie besonders geeignet zu sein. Eine Zusammenfassung der wichtigsten Neuerungen im deutschsprachigen Raum stellt die aktuelle Onkopedia-Leitlinie zur Diagnose und Therapie des Pleuramesotheliome. In dieser ist die Immuntherapie bei den Therapiealternativen bereits berücksichtigt. Zusätzlich finden auch andere neue Verfahren, wie beispielsweise die Tumor Treating Fields (TTF), Erwähnung. TTF sind eine nicht-invasive Technologie mit sehr geringen Nebenwirkungen. Hierbei wird die Zellteilung durch elektromagnetische Felder gehemmt. Klinische Daten für eine eindeutige Empfehlung der TTF liegen aber noch nicht in ausreichendem Umfang vor.
Neue Therapieansätze in der Onkologie
Dr. Rajiv Shah, Thoraxonkologie, Universitätsklinikum Heidelberg, präsentierte eine umfassende Übersicht über die derzeit laufenden Therapieansätze in der Onkologie. Je mehr über die Mechanismen und Signalwege der Krebsentstehung des Mesothelioms bekannt wird, desto besser lassen sich gezielte und maßgeschneiderte Therapien entwickeln. Namen wie MAPS, RAMES, eVOLVE, PEMMELA, BEAT, NERO, MiST beschreiben vielversprechende Ansätze, in denen neuartige Therapeutika oder Kombinationen untersucht werden. Die Aussagekraft der meisten dieser Studien ist aktuell eingeschränkt, da entweder eine unabhängige Bestätigung fehlt oder die Fallzahlen zu klein sind. Besonders erwähnenswert ist dennoch die NICITAStudie zu einer Kombination von Immun- und Chemotherapie (Nivolumab + Pemetrexed + Cis-/Carboplatin). Durch die Vernetzung mehrerer Mesotheliomeinheiten könnte so auch in Deutschland eine ausreichende Anzahl teilnehmender Patienten für belastbare Studien zu seltenen Erkrankungen gewonnen werden.
Früherkennung – EVA-Mesothel
Das erweiterte Vorsorgeangebot EVA-Mesothel zur minimal-invasiven Früherkennung von Mesotheliomen umfasst einen jährlichen Bluttest, bei dem die Biomarker Calretinin und Mesothelin bestimmt werden (Hosbach et al. 2023). Das Angebot der DGUV und der beteiligten Unfallversicherungsträger richtet sich an Versicherte mit einer anerkannten BKNr. 4103. In seinem Vortrag über EVA-Mesothel beschrieb Dr. Ingolf Hosbach vom IPA die Abläufe des erweiterten Vorsorgeangebots bei den Unfallversicherungsträgern, in den Arztpraxen, im Labor und in der Ruhrlandklinik Essen. Bis Ende 2023 haben bereits rund 300 Versicherte das Angebot zu der erweiterten Vorsorge erhalten.
Krebszentren und Krankenhausfinanzierung
Dr. Markus Wenning, Ärztlicher Geschäftsführer der Ärztekammer Westfalen-Lippe schilderte, wie eine erweiterte Finanzierung von wissenschaftlich orientierten Krebszentren auch von besonderen Kriterien des gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) betroffen sein kann. Dies gilt insbesondere für seltenere Tumoren, wie den Mesotheliomen. Mit einer erweiterten Finanzierung durch die gesetzlichen Krankenkassen kann nur gerechnet werden, wenn man den Status als GBA-Krebszentrum erlangt. Dafür müssen trägerspezifisch und lokal Krebstherapien bei mindestens drei Tumorentitäten in hoher Fallzahl angeboten werden. Hierbei ist das Mesotheliom nicht als eine der für die Status-Anerkennung relevante Tumorentitäten aufgeführt. Insgesamt ist das bundesweite Gesamtvolumen für die erweiterte Finanzierung des erhöhten Aufwands durch begleitende wissenschaftliche Forschung für alle Krebszentren sehr begrenzt. In Anbetracht der geringen Klinikdichte in einigen Teilen der Bundesrepublik wird es daher eine große Herausforderung sein, gut erreichbare Mesotheliomeinheiten kostendeckend für alle Versicherten anbieten zu können.
Zertifizierung von Mesotheliomeinheiten
Bereits im Rahmen des ersten DGUV Fachgesprächs Mesotheliomtherapie wurde die Zertifizierung von Mesotheliomeinheiten an bereits bestehenden Lungenkrebszentren initiiert. Dr. Martin Utzig, DKG, berichtete über die von der DGUV geförderte Zertifizierung der bisher 15 deutschen Einheiten und stellte den aktuellen Jahresbericht für das Auditjahr 2022 mit den Kennzahlen aus 2021 vor. Im Berichtsjahr wurden 289 Neuerkrankungen gemeldet, von denen 78 operiert wurden. 137 Patienten wurden in Studien eingeschlossen und 112 erhielten eine psychoonkologische Betreuung. Alle Mesotheliomeinheiten haben auch bei der Rezertifizierung die Einschlusskriterien erfüllt. Momentan befinden sich drei zusätzliche Kliniken im Zertifizierungsprozess. Nach wie vor bleibt die bundesweit flächendeckende Etablierung von Mesotheliomeinheiten eine Herausforderung. Für die betroffenen Versicherten kann die Zertifizierung von Mesotheliomeinheiten mit der verbesserten Früherkennung sowie der Erforschung und Weiterentwicklung von neuen Therapieansätzen jedoch als großer Erfolg gewertet werden. In den kommenden Monaten sollen die Erreichbarkeit von Ansprechpersonen in den Einheiten sowie die Vernetzung und der Austausch zwischen den Kliniken, zum Beispiel über die vom IPA initiierte Plattform MesoTheraNet, weiterentwickelt werden.
Abschlussdiskussion
In dem von Prof. Thomas Auhuber, Vorsitzender der Geschäftsführung des B.A.D., moderierten Round Table Gespräch mit den Vortragenden und dem Publikum wurden bisherige Fortschritte und zukünftige Entwicklungen diskutiert. Es bestand dabei Einvernehmen, dass seit dem ersten Fachgespräch in vielen Bereichen eine positive Entwicklung zu verzeichnen ist. Betont wurde die Bedeutung einer möglichst frühzeitigen Anzeige des Verdachts auf eine BK-Nr. 4105. So kann der zuständige Unfallversicherungsträger zeitnah in den Prozess einbezogen werden, beispielsweise bei der Bewilligung weiterführender Therapien. Durch das Angebot der Unfallversicherungsträger zur Früherkennung mittels Biomarker wird dieses Ziel häufig schon bei der Abklärung eines klinischen Verdachts erreicht. Dadurch können die Unfallversicherungsträger frühzeitig im Interesse der Versicherten weitere Schritte einleiten. Im Hinblick auf die Weiterentwicklung von Therapieansätzen wurde als ein wichtiger Ansatz auch die Vernetzung der Mesotheliomeinheiten durch gemeinsame Therapiestudien identifiziert. Direkt im Anschluss an das Fachgespräch fand hierzu ein erstes Arbeitstreffen der Mesotheliomeinheiten statt, bei dem die Möglichkeiten für eine vertiefte weitere Zusammenarbeit erörtert wurden.
Prof. Dr. Thomas Brüning
Dr. Ingolf Hosbach
Dr. Georg Johnen
Dr. Thorsten Wiethege
IPA
Hagemeyer O, Johnen G, Wiethege T, Duell M, Brüning T. DGUV Fachgespräch „Mesotheliomtherapie“,2020; IPA Journal 1: 40-41
Aigner C, Brüning T, Eberhardt WEE, Härter, Kaelberlah HP, Metzenmacher M, Shah R, Taube C, Thomas M. Die aktuelle Therapie des asbestassoziierten malignen Pleuramesothelioms – Ein Experten-Konsensuspapier. Pneumologie 2021; 75: 776-794
Johnen G, Taeger D, Brüning T. Molekulare Marker zur Krebsfrüherkennung – Follow-up (MoMarFollow). 2022; IPA Journal 3: 16-20
Hosbach I, Johnen G, Taeger D, Wiethege T, Weber D, Kaiser N, Eisenhawer C, Brüning T. Erweitertes Vorsorgeangebot zur Früherkennung von Mesotheliomen – EVA-Mesothel. 2023; IPA Journal 3: 18-21
Jahresbericht 2023 der zertifizierten Mesotheliomeinheiten (Auditjahr 2022/Kennzahlenjahr 2021). https://www.krebsgesellschaft.de/jahresberichte.html