Dr. Marike Kolossa-Gehring leitet das Fachgebiet „Toxikologie, gesundheitsbezogene Umweltbeobachtung“ im Umweltbundesamt (UBA). Im Interview spricht sie über die Bedeutung des Human-Biomonitorings bei der Bewertung von Belastungen des Menschen durch Gefahrstoffe in der Umwelt und im Hinblick auf Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit.
Nicht alle unserer Leserinnen und Leser können sich unter dem Human-Biomonitoring etwas vorstellen. Könnten Sie kurz beschreiben, worum es dabei konkret geht?
Mit dem Human-Biomonitoring (HBM) können wir die tatsächliche Belastung des menschlichen Körpers mit Schad- beziehungsweise Gefahrstoffen messen. Dazu werden die Stoffe beziehungsweise deren Abbauprodukte hauptsächlich im Blut und/oder Urin bestimmt. Der große Vorteil dabei: Wir wissen tatsächlich, wie hoch ein Mensch belastet ist, das heißt, was eine Person wirklich in den Körper aufgenommen hat. Denn wir dürfen nicht vergessen, Gefahrstoffe können nicht nur über die Atmung, sondern auch über die Haut und die Nahrung in unseren Körper gelangen. Außerdem sind wir in der Regel nicht nur über einen dieser Pfade und gegenüber einem einzelnen Stoff exponiert.
Welchen Stellenwert hat das Human-Biomonitoring im Hinblick auf die Prävention von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren?
Das Human-Biomonitoring spielt am Arbeitsplatz eine sehr wichtige Rolle. Ich höre aus der Industrie immer wieder, dass die Belastung am Arbeitsplatz so sein sollte, dass sie sich von derjenigen der Allgemeinbevölkerung möglichst nicht unterscheidet. Feststellen lässt sich das nur, wenn man entsprechende Messungen in der Allgemeinbevölkerung und in beruflich exponierten Gruppen durchführt. Ein Biomonitoring am Arbeitsplatz berücksichtigt insbesondere auch die Wirksamkeit vorhandener Arbeitsschutzmaßnahmen. So kann durchaus eine höhere Konzentration an Gefahrstoff in der Arbeitsplatzluft vorliegen, die jedoch aufgrund des Tragens persönlicher Schutzausrüstungen oder technischer Maßnahmen nicht im Körper des Beschäftigten ankommt. Der optimale Schutz eines Beschäftigten kann damit letztendlich nur durch ein Biomonitoring bestätigt oder auch widerlegt werden.
In bestimmten Bereichen besteht bereits jetzt eine Verpflichtung ein Human-Biomonitoring durchzuführen, unter anderem beim beruflichen Umgang mit Blei beziehungsweise bleihaltigen Gefahrstoffen. Nach meiner Kenntnis wird es jedoch auch für weitere Gefahrstoffe von vielen Firmen in Deutschland freiwillig eingesetzt, weil es als ein gutes und zuverlässiges Instrument zur Erfassung der Belastung am Arbeitsplatz erkannt worden ist. Gleichzeitig – und das ist nicht weniger wichtig – kann das Human-Biomonitoring aber auch zur Erfolgskontrolle ergriffener Präventionsmaßnahmen beitragen.
Zur Kontrolle von Maßnahmen, möchte ich ein Beispiel aus dem Umweltbundesamt anführen. Hier führen wir umfangreiche Programme durch, um zu prüfen, inwieweit freiwillige Verzichtserklärungen, Aufklärungsmaßnahmen oder auch tatsächlich verbindliche Regulierungen und Verbote zur Produktion oder der Verarbeitung bestimmter Stoffe dazu führen, die Belastung der Menschen zu verringern. Ein immer noch prominentes Beispiel ist die Verbesserung der Luftqualität durch Auflagen für Industrieanlagen, die dazu geführt hat, dass in den neuen Bundesländern nach der Wiedervereinigung die innere Belastung mit polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) deutlich gesunken ist.
Ein weiteres Beispiel ist die vorsorgliche Untersuchung von Ersatzstoffen, die – nach gegenwärtigem Kenntnisstand – einen gefährlichen Stoff durch einen mutmaßlich weniger gefährlichen Stoff ersetzen. Dazu gehört zum Beispiel DINCH, ein Ersatzprodukt von Phthalat-Weichmachern. Mit dessen Einführung erhöhte sich die Belastung der Allgemeinbevölkerung. Das bedeutet aber auch für uns: Wir werden monitoren, ob möglicherweise zukünftig kritische Werte erreicht werden, und ob ab einem bestimmten Zeitpunkt kommunikative Maßnahmen oder auch Beschränkungen in der Verwendung angezeigt sind.
In der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge aber auch der Gefahrstoffverordnung kommt dem Human-Biomonitoring eine wichtige Rolle zu. Gehen Sie davon aus, dass diese in den nächsten Jahren noch weiter zunehmen wird?
Ich gehe fest davon aus, dass die Bedeutung des Human-Biomonitorings weiter zunehmen wird. Im europaweiten HBM4U-Projekt (→ Info-Kasten), an dem ja auch das IPA beteiligt war, konnte anhand von Arbeitsplatzuntersuchungen gezeigt werden, dass die Belastung von verschiedenen Berufsgruppen unter anderem gegenüber Chrom und Diisocyanaten höher ist, als man das erwartet hatte. Auch höher als man aufgrund der Regulierung hätte erwarten dürfen. Und diese Ergebnisse haben natürlich Wirkung. Hier sehe ich, wie stark diese sowohl in der wissenschaftlichen Gemeinschaft als auch von den Kolleginnen und Kollegen aus der Industrie wahrgenommen wird.
Wenn man jetzt also sieht, dass die Hypothesen zur Belastung am Arbeitsplatz nicht immer wirklich zutreffen, man aber anstrebt, die Beschäftigten so zu schützen, dass sie nicht nennenswert stärker belastet sind als die Allgemeinbevölkerung, dann ist das Human- Biomonitoring ein wichtiger Baustein, mit dem man das erreichen kann.
Sie haben das EU-geförderte Human-Biomonitoring Projekt HBM4EU geleitet, und sind auch führend im Nachfolgeprojekt PARC involviert: Wo sehen Sie die Bedeutung der nationalen und internationalen Zusammenarbeit im Bereich Human-Biomonitoring?
Die Chemikalienpolitik liegt heute in der Zuständigkeit der EU und damit haben nationale Regelungen in Deutschland allein nicht mehr die Bedeutung, wie sie sie früher einmal hatten. Insofern ist die europäische Kooperation von zentraler Bedeutung. Die kann aber nur gelingen, wenn wir gute gemeinsame Standards sowie harmonisierte Methoden haben und uns bei deren Anwendung einig sind.
Gleichzeitig haben wir so viele Stoffe auf dem Markt, dass keines der europäischen Mitgliedsländer allein Methoden entwickeln und die Testungen durchführen kann. Daher ist eine gemeinsame Strategie für Analysen auf einem hohen Qualitätsstandard, den das IPA ganz wesentlich für Europa mitbestimmt hat, und die Teilung der Lasten und Kosten von besonderer Bedeutung. Wenn außerdem alle europäischen Länder im Verbund Analysen durchführen, werden wir belastbarere Ergebnisse bekommen und wir können durch die verschiedenen Spezialisierungen europäischer Arbeitsgruppen ein breiteres Spektrum abdecken. Nur so können wir heute noch die wissenschaftlichen Grundlagen für entsprechende Gefahrstoffbewertungen generieren.
In der Vergangenheit war es häufig ein Problem, dass Daten, die von jemandem gemessen wurden, aus vielerlei Gründen nicht plausibel erschienen. Jetzt haben wir für ausgewählte Gefahrstoffe auf europäischer Ebene im Projekt HBM4EU gemeinsame Standards entwickelt und Qualitätssicherungsmaßnahmen ergriffen, die das IPA und die Biomonitoring Arbeitsgruppe von Holger Koch ganz wesentlich beeinflusst und vorangetrieben haben. Ziel ist natürlich, gleiche Lebensbedingungen in ganz Europa für alle Beschäftigten sowie Bürger und Bürgerinnen zu schaffen. Man darf nicht vergessen, dass Verschmutzung nicht ein nationales, sondern ein grenzüberschreitendes Problem ist. Wenn wir die Menschen bei uns schützen wollen, geht es nur über einen gemeinsamen europäischen Weg.
International bedeutet auch weltweit. HBM4EU betraf die europäische Harmonisierung. Wir haben diese Aktivitäten aber auch parallel dazu genutzt, die internationale Vernetzung weiter voranzutreiben. Dabei haben wir beobachtet, dass gerade asiatische Länder sich an dem System, das wir für Europa vorgeschlagen haben, ebenfalls stärker orientieren. Auch hier sind das UBA und das IPA hervorragend vernetzt.
Welche Auswirkungen hat die europäische Gesetzgebung im Hinblick auf das nationale Human-Biomonitoring?
Zurzeit sind wir dabei, das HBM als verbindliches europäisches Instrument auch in der Chemikalienregulierung einzuführen. Hier hat Deutschland eine Vorreiterrolle. Die beim UBA angesiedelte HBM-Kommission gibt es bei uns seit 1990. Konzepte, die wir bereits damals entwickelt haben, finden teilweise erst jetzt den Weg in die EU. Im Hinblick auf die Bewertung der Exposition an Arbeitsplätzen gab es in der Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe, der so genannten MAK-Kommission, schon sehr frühzeitig Bestrebungen das HBM dort zu etablieren und voranzubringen. Mittlerweile haben andere größere Länder nach deutschem Vorbild ähnliche Systeme etabliert, indem sie das Human-Biomonitoring sowohl in der Allgemeinbevölkerung als auch am Arbeitsplatz anwenden. Das ist grundsätzlich eine sehr positive Entwicklung. Wir dürfen aber nicht vergessen: Es gibt viele Länder, auch in Europa, die entsprechende Untersuchungen bislang nicht so ohne weiteres etablieren konnten. Hier brauchen wir einen europäischen Rahmen, der verbindliche Vorgaben macht. Ein solcher Rahmen wird sich dann auch auf die nationalen Anforderungen auswirken. Deutschland wird hier nicht so stark nachjustieren müssen, weil bei uns das System seit über 30 Jahren fest etabliert ist.
Insofern kann man eher von einem europäischem Entwicklungsprojekt sprechen. Im Hinblick auf den Arbeitsplatz wäre meine Hoffnung, dass die HBM4EU-Ergebnisse dazu führen, dass sich die Bereitschaft und die Kenntnis über Human-Biomonitoring am Arbeitsplatz als freiwillige und positiv geprägte Maßnahme des Arbeitgebers stärker verbreiten. Gleichzeitig gehe ich davon aus, dass sich auch die Nachfrage von Beschäftigten oder eben von der Öffentlichkeit nach solchen Untersuchungen erhöhen wird. Das ist auch eine Erfahrung, die wir jetzt bei der Allgemeinbevölkerung sehen: Wenn Menschen wissen, dass man ihre Schadstoffbelastung messen kann, fordern sie das auch ein. Gleiches wird sich sicherlich auch an Arbeitsplätzen ergeben.
Neue Risiken durch neue Gefahrstoffkombinationen und Mischungen – auf was müssen wir uns da in Zukunft einstellen?
Gerade bei Gefahrstoffkombinationen und Mischungen ist das Human-Biomonitoring die Methode, mit der wir wirklich zuverlässig nachweisen können, mit wie vielen Stoffen der Mensch gleichzeitig belastet ist. Deshalb haben wir in Deutschland, aber auch in der europäischen Zusammenarbeit, die Aktivität zur Bewertung und Erfassung von Mischungsbelastungen vorangetrieben.
Die nächste deutsche Umweltstudie ist auf Mischungen ausgerichtet. Da werden wir mindestens 140 Stoffe in jeder einzelnen Blut- beziehungsweise Urinprobe messen. Bei der bisher gängigen Betrachtung von Einzelstoffen haben wir die Risiken wahrscheinlich systematisch unterschätzt, weil niemand in der Praxis nur gegenüber einem Stoff belastet ist. Bei den aktuellen so sogenannten Netzwerkanalysen sieht man, dass es unterschiedliche Belastungsprofile zwischen den Geschlechtern, Altersgruppen, Regionen oder Tätigkeitsbereichen gibt. Allen gemeinsam ist aber, eine gleichzeitige Belastung mit vielen und zwar hochwirksamen Umweltchemikalien beziehungsweise Schad- oder Gefahrstoffen.
In der EU-Kommission wird zurzeit über die Einführung eines sogenannten Mixture-Assessments- auch Allocation-Factors diskutiert. Letzterer soll zusätzlich als Unsicherheitsfaktor in eine Bewertung eingehen, um das Risiko von Mischexpositionen abzudecken. Hier stehen wir aber noch ganz am Anfang. Das Human-Biomonitoring kann dabei die Basis sein, um einerseits die Notwendigkeit zum Handeln zu belegen und andererseits zu priorisieren, welche Stoffgemische zunächst bearbeitet werden müssen. Man muss allerdings sagen, dass es methodisch überaus schwierig ist, Mischungen zu bewerten. Denn selbst wenn zehn Personen mit den gleichen 100 Stoffen belastet sind, heißt das ja nicht, sie sind mit jedem Stoff in der gleichen Höhe belastet. Hier brauchen wir sehr verlässliche Daten und große Datenmengen, auf deren Basis wir dann aussagekräftige Bewertungen vornehmen können. Diese Ansätze sind aufwändig, so dass auch hier wieder die ärmeren Staaten ins Hintertreffen geraten könnten. Deshalb denke ich, ist es wichtig, dass solche Human-Biomonitoring-Studien mit dem Fokus auf Mischexpositionen gemeinsam mit allen Ländern der europäischen Union durchgeführt werden sollten.
Frau Dr. Kolossa-Gehring, wo sehen Sie für die Zukunft die größten Herausforderungen für das Human-Biomonitoring?
Die größten Herausforderungen sehe ich darin, dass wir zuverlässige, innovative Strukturen in Deutschland entwickeln. Human-Biomonitoringstudien sind ressourcenintensiv hinsichtlich Personal, aufzuwendender Zeit und notwendiger technischer Ausstattung. Wir brauchen dafür spezialisierte und exzellente Labore, wie zum Beispiel das des IPA. Gleichzeitig brauchen wir Freiräume für die Weiter- und Neuentwicklung von Methoden im Human-Biomonitoring. So können beispielsweise Institutionen wie das Umweltbundesamt mit guten Daten und bei der Durchführung von Studien unterstützt werden. Gleichzeitig muss der europäische Prozess, der auf dem hohen deutschen Niveau stattfindet, vorangetrieben werden. Und natürlich die Ausdehnung unserer, dann hoffentlich auch in Europa etablierten Standards, weil Belastung kein nationales, sondern ein internationales Problem ist.
Im betrieblichen Arbeitsschutz fände ich es sehr wichtig, dass Messungen über die Belastungen am Arbeitsplatz zeitnah veröffentlicht werden. Außerdem sind internationale Verbundprojekte weiterhin wichtig, in denen gemeinsam mit internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie der Industrie Studien durchgeführt werden. Auch hier ist das IPA ein gutes Beispiel.
Als Präventionsmaßnahme sollten vermehrt Human-Biomonitoring-Messungen durchgeführt werden, weil es die einzige Methode ist, mit der man zuverlässig beurteilen kann, ob und wenn ja, in welchem Maße ein Mensch bestimmten Gefahrstoffen ausgesetzt ist. Das erfordert gleichzeitig aber auch das Vorhandensein von biologischen Grenz- und Beurteilungswerten, denn ein Human-Biomonitoring-Ergebnis sollte nach Möglichkeit auch immer hinsichtlich seiner gesundheitlichen Auswirkungen interpretiert werden können. Hier leistet das UBA aber auch die MAK-Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft bereits umfangreiche Pionierarbeit mit der Etablierung von Human-Biomonitoring-Werten und biologischen Arbeitsplatz-Toleranzwerten.
Zwischen den Messungen in der Allgemeinbevölkerung und denen am Arbeitsplatz gibt es im Übrigen durchaus Übergangsbereiche, anhand derer man voneinander lernen und gemeinsam Empfehlungen und Maßnahmen entwickeln kann. Dies gilt in beide Richtungen, also aus Erfahrungen, die man im HBM an Arbeitsplätzen gesammelt hat und umgekehrt aus Untersuchungen an der Allgemeinbevölkerung, die sich an Arbeitsplätzen umsetzen lassen.
Das Interview führte
Dr. Monika Zaghow, IPA
HBM4EU
Die „European Human Biomonitoring Initiative – HBM4EU“ ist 2017 mit dem Ziel gestartet, die Datenlage zum Human-Biomonitoring (HBM) in den Mitgliedstaaten der EU anzugleichen und die gesundheitlichen Folgen der Gefahrstoffbelastung besser zu verstehen. Das Projekt war auf fünfeinhalb Jahre angelegt. HBM4EU legte den Fokus auf die Bildung eines gesamteuropäischen Humanbiomonitoring Netzwerks. Aufgaben waren zum einen die Zusammenführung bereits vorhandener Daten sowie die Durchführung neuer, gemeinsamer HBM-Studien. Beteiligt waren insgesamt 107 Partner aus 26 Ländern. → www.hbm4eu.eu/